Kultur

Deutsche Studentenverbindungen. "Der katholische Glaube ist die Grundlage unserer Werte".

Katholische Studentenverbindungen haben in Deutschland eine Tradition, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Auch heute noch unterstützen sie die Einflussnahme auf eine zunehmend säkularisierte Gesellschaft.

José M. García Pelegrín-8. Juli 2023-Lesezeit: 4 Minuten

Foto: Fahnenparade der Studentenorganisationen in Münster nach dem Pontifikalamt im St. Pauls Dom ©cartellversammlung 2019

"Wir können es nicht anderen überlassen, die öffentliche Meinung zu bestimmen, sondern wir müssen sie mitgestalten: Wir müssen politischer sein, wir müssen mutiger sein. Mit diesen Worten wandte sich Nikodemus Schnabel OSB, Abt der Abtei der Entschlafung der Jungfrau Maria (Abtei Hagia Maria) in Jerusalem, an die Teilnehmer der Jahresversammlung des deutschen katholischen Studentenverbands "Cartellverband", die kürzlich in Fulda stattfand.

Schnabel kritisierte den zunehmenden Zerfall der Zivilgesellschaft: "Immer mehr Menschen sind überzeugt, auf der Seite der Guten zu stehen, die auch genau zu wissen glauben, wer die Bösen sind. Mit dieser Denkweise fühlen sie sich moralisch so überlegen, dass sie glauben, dass ihnen unser Rechtssystem nicht passt. Die Schülervertretungen müssen dort ansetzen, wo - so Abt Schnabel weiter - einzelne Personen aus einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit heraus sich gegen das Gemeinwohl stellen.

Eine hundertjährige Geschichte

Studentenverbindungen sind in Deutschland tief verwurzelt, auch wenn heute nur noch ein Prozent der Studierenden einer Studentenverbindung angehört. Im 19. und über weite Teile des 20. Jahrhunderts waren sie jedoch als lebenslange "Bruderschaften" sehr beliebt; bei ihren Mitgliedern werden sie sogar "Bundesbrüder" genannt. 

Die Korporationen, die ihrerseits in verschiedenen Verbänden mit sehr unterschiedlichen Merkmalen organisiert sind, haben ihren Ursprung im frühen 19. Jahrhundert, als sich nach den "patriotischen" oder "Befreiungskriegen" gegen Napoleon eine nationalistische Stimmung ausbreitete.

In der Folge erhofften sich viele Menschen vom Wiener Kongress eine Rückkehr zur Einheit des Heiligen Römischen Reiches und eine Überwindung der Zersplitterung in Kleinstaaten, die seit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) stattgefunden hatte.

Obwohl Preußen und Österreich einige ehemals unabhängige Gebiete hinzugewannen, wurde auf dem Wiener Kongress die Aufteilung "Deutschlands" in etwa 40 Staaten beibehalten.

Um dagegen zu protestieren, versammelten sich 1817 etwa 500 Studenten auf der Wartburg (in der Nähe der thüringischen Stadt Eisenach), die als nationales Symbol gilt, weil Luther dort 1521/22 Zuflucht gefunden hatte. Obwohl sie schon mehrmals dort gewesen waren, war das Treffen 1817 besonders symbolträchtig, da es das 300-jährige Jubiläum der Reformation markierte.

Die Studentenverbindungen waren in erster Linie ein protestantisches Phänomen. Die ersten katholischen Studentenverbindungen entstanden erst 1844: Anlässlich der Ausstellung des "Heiligen Rocks", einer hoch verehrten Reliquie in Trier, wurden verschiedene katholische Vereinigungen gegründet, darunter der "Katholikentag" und die sogenannten "katholischen Studentenverbindungen".

Obwohl der "Kulturkampf" zwischen dem Deutschen Reich und insbesondere dem Reichskanzler Otto von Bismarck und der katholischen Kirche erst 1870 seinen Höhepunkt erreichen sollte, bleibt die Tatsache bestehen, dass sich Preußen - trotz der Toleranz, die die Katholiken während des größten Teils seines Bestehens genossen - als "protestantisch" verstand, im Gegensatz zu Österreich-Ungarn, das als katholisch angesehen wurde.

Deshalb entstanden, als die ersten Anzeichen dafür auftraten, dass die Katholiken in den privaten Bereich verbannt werden sollten, katholische Vereinigungen, um ihnen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entstehung der katholischen Studentenverbindungen zu sehen. 

Die katholischen Vereinigungen wurden wiederum in drei großen "Verbänden" zusammengefasst: "Unitas", der "Kartellverband" und der "Cartellverband". Ohne auf die Unterschiede zwischen ihnen einzugehen - so wurde "Unitas" als Vereinigung von Theologiestudenten gegründet und erst 1887 für Studenten anderer Fakultäten geöffnet - war ihnen gemeinsam, dass sie ihren ersten Aufschwung in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erlebten und dass sie im Gegensatz zu den protestantischen Organisationen generell gegen die NS-Diktatur eingestellt waren, die sie 1938 auflösen musste.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erleben sie eine zweite Expansionsphase; so werden beispielsweise die Bundeskanzler Konrad Adenauer und Kurt Georg Kiesinger stolz darauf sein, dem Kartellverband anzugehören, um dann nach der Studentenrevolution von 1968 einen spürbaren Mitgliederrückgang zu erleben.

Studentenvereinigungen heute

Heute haben sie, wie eingangs erwähnt, nicht mehr das Gewicht früherer Zeiten, aber sie pflegen weiterhin ihre Traditionen. Der Verband "Unitas" zum Beispiel beschreibt sein Ziel als "seine Mitglieder bei der Vertiefung ihres religiösen Lebens, ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und ihres sozialen Engagements zu unterstützen".

Anlässlich der eingangs erwähnten Versammlung des Cartellverbands erklärte dessen derzeitiger Präsident Simon Posert, dass die Zahl der Mitglieder zwar stabil bleibe, aber "die Bereitschaft der Jugendlichen, sich zu engagieren, abgenommen hat.

Auch die Einschränkungen der letzten Jahre durch die COVID haben die Sache nicht einfacher gemacht. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass wir weiterhin ein attraktiver Ort für Studenten sein werden. Zu den Auswirkungen, die katholische Studentenverbände auf die Gesellschaft haben können, sagte er: "Die Organisation ist kein Aktivist im eigentlichen Sinne, aber wir bringen tendenziell Menschen zusammen, die sich für die Gesellschaft engagieren und vor allem in ihrem direkten Umfeld etwas bewirken".

Abt Nikodemus Schnabel wies darauf hin, dass die gegenwärtige Situation in der Gesellschaft eine Wiederentdeckung des missionarischen Charakters der Kirche fördere: Es gebe zweifellos junge Universitätsstudenten, die den katholischen Glaubensweg gehen wollen. Sie kritisierte auch "die deprimierende Atmosphäre in der Kirche und in den kirchlichen Milieus". Wenn man Leute wie die vom "Zentralkomitee der deutschen Katholiken" anschaue, habe man fast das Gefühl, dass sie sich für ihre Existenz entschuldigen. "Die Studentenverbände müssen sich der Herausforderung stellen, von ihren Werten her Position zu beziehen: Die Kirche ist nicht tot. Die Neugier auf den Glauben ist da.

Auch Simon Posert ist der Meinung, dass die "katholische Kirche als Institution" nicht mehr in der Lage ist, jungen Menschen die Inhalte des katholischen Glaubens - die Lehre von Christus - zu vermitteln. "Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale, zu der auch die Kirche durch Missbrauch beigetragen hat. Die Kirche kann Halt geben und Sinn stiften, aber sie erfüllt diesen Auftrag nicht mehr in großem Umfang.

Studentenverbindungen sind trotz aller Verbindungen keine Organisationen kirchlicher Strukturen, so dass sie den Glauben vielleicht sogar auf entspanntere Art und Weise leben können. Das fängt schon im Kleinen an, zum Beispiel wenn Studenten gemeinsam kochen und beim Essen den Tisch segnen, oder wenn wir gemeinsam zur Sonntagsmesse gehen. Auch den Beginn und das Ende eines jeden Semesters feiern wir mit einer Messe. Für uns ist der katholische Glaube die Grundlage unserer Werte.

Newsletter La Brújula Hinterlassen Sie uns Ihre E-Mail-Adresse und erhalten Sie jede Woche die neuesten Nachrichten, die aus katholischer Sicht kuratiert sind.
Bannerwerbung
Bannerwerbung