An der Universität Complutense in Madrid ist eine Kontroverse entstanden, die tief in das Thema Zweck und Freiheit im universitären Umfeld eingreift. Es begann alles mit einem Interview mit dem Kaplan Juan Carlos Guirao von den Fakultäten für Philosophie und Philologie, der über die großen Herausforderungen der heutigen Gesellschaft sprach: Wokismus, Säkularismus, Multikulturalismus und der Wert der Freiheit in der akademischen Debatte.
Was als Beitrag zum Nachdenken gedacht war, endete in einer hitzigen Diskussion, als der Dekan der Biologie im Rat der Universität seine "Besorgnis" zum Ausdruck brachte und dem Rektor vorschlug, der Kaplan solle seine Meinungen auf den Bereich seiner Kapelle und seiner Gemeinschaft beschränken und nicht zulassen, dass sie in der Universität verbreitet werden. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, und Pater Guirao antwortete mit einem öffentlichen Brief, in dem er nicht nur sein Recht auf Meinungsäußerung verteidigte, sondern auch auf strukturelle Probleme in der akademischen Welt hinwies.
Die Wurzeln der Universität und der Verlust der Debatte
Die Universitäten entstanden im 13. Jahrhundert als ein Raum für das Streben nach Wissen, gefördert von christlichen Intellektuellen, die sich nicht scheuten, ihre eigenen Überzeugungen einer kritischen Analyse zu unterziehen. In Bologna, Paris, Salamanca oder Oxford akzeptierte man die Debatte nicht nur, sondern betrachtete sie als wesentlich für den Fortschritt des Wissens.
Heute befinden wir uns jedoch in der paradoxen Situation, dass im Westen eine wachsende Angst davor besteht, Ideen zu diskutieren, die nicht der politischen Korrektheit entsprechen. Kontroverse Themen wie Gender-Ideologie, Abtreibung, Euthanasie, jüngere Geschichte oder auch die Natur des Staates werden oft aus einer einseitigen Perspektive behandelt, so dass abweichende Stimmen ausgeschlossen werden.
Kaplan Guirao erinnert in seinem Schreiben lediglich daran, was an einer Hochschule selbstverständlich sein sollte: Die Universität sollte ein Ort der freien Debatte sein, an dem keine Position von vornherein ausgeschlossen wird. "Schweigen und Unsichtbarmachen sind in einem Umfeld, das nach der Wahrheit sucht, keine zulässigen Optionen", erklärt er entschieden.
Eine unangenehme Erinnerung
Abgesehen von der Kontroverse wirft der Fall des Kaplans eine entscheidende Frage auf: Was wollen wir, dass unsere Universitäten sind: Räume der Reflexion und der Suche nach Wahrheit oder ideologische Komfortzonen, in denen nur bestimmte Stimmen gehört werden?
Die Kritik des Kaplans ist nicht ohne Humor. Er weist darauf hin, dass sein "Vertrag" nach mehr als 20 Jahren Arbeit als Kaplan an der Complutense bei 0 Euro liegt, was ihm eine Freiheit gibt, die andere vielleicht nicht haben. Er antwortet dem Dekan auch mit einer Liste von Fragen, die zum Dialog einladen: Werden wir als Mann oder Frau geboren oder entscheiden wir uns dafür? Was hindert uns daran, unser Alter, unsere Ethnie oder sogar unsere Art selbst zu bestimmen? Was ist die anthropologische Grundlage unserer Gesetze?
Seine Überlegungen sind unbequem, und genau das ist es, was eine lebendige Universität braucht. Bequemlichkeit war noch nie ein Verbündeter des intellektuellen Fortschritts.
Die Wiederbelebung des universitären Geistes
Die von Kaplan Guirao angestoßene Debatte geht über die Universität, an der er arbeitet, hinaus. Sie ist eine Gelegenheit, die ursprüngliche Bedeutung der Institution Universität wiederzuerlangen: ein Ort, an dem die Wahrheit mit Strenge, Freiheit und Mut gesucht wird. Wie er in seinem Brief zu Recht feststellt, ist das, was die Universität verunglimpft, nicht die abweichende Meinung, sondern die Zensur, die Willkür bei der Verwaltung der Ressourcen und das Fehlen von Verdiensten bei einigen akademischen Posten.
Der Kaplan fordert keine Privilegien für christliche Ideen, sondern gleiche Chancen für alle Perspektiven, sich zu äußern. Drei Jahre nach der berühmten Debatte über die Rolle der christlichen Intellektuellen in der Öffentlichkeit ist dieser Priester ein gutes Beispiel dafür, was es bedeutet, mit Mut, guten Argumenten und christlicher Nächstenliebe aufzutreten.
Letztlich geht es nicht nur um die Redefreiheit eines Geistlichen, sondern um das Wesen einer Universität. Werden wir es zulassen, dass unsere Institutionen den Weg der Selbstzensur einschlagen? Oder werden wir wie die Intellektuellen des 13. Jahrhunderts den Mut haben, auch Unbequemes zu diskutieren?
Herausgeber von Omnes. Zuvor hat er für verschiedene Medien gearbeitet und 18 Jahre lang Philosophie auf Bachillerato-Ebene unterrichtet.