Zweimal in der Karwoche hören wir die Lesungen aus der Passion des Herrn: einmal in der Messe am Palmsonntag - in diesem Jahr ist es die Version des Lukas, die sich mit der von Matthäus und Markus abwechselt - und dann in den Gottesdiensten am Karfreitag, in denen das Johannesevangelium in fester Form verkündet wird.
Warum besteht man so sehr darauf, eine bereits bekannte Geschichte in Erinnerung zu rufen, deren Verkündigung einen manchmal ablenkt oder müde macht, so lange zu stehen? Die Wahrheit ist, dass die Berichte über das Leiden, den Tod und die Auferstehung des Herrn von der Kirche seit ihren Anfängen verehrt wurden. Sie sind in der Tat der Kern der Evangelien.
Die große Kohärenz der vier Erzählungen deutet darauf hin, dass die frühen Christen besonders darauf bedacht waren, diese Texte zu untermauern, damit sie im Gedächtnis bleiben, damit das, was in jener ersten Karwoche in Jerusalem geschah, nie vergessen wird.
Es sind Geschichten, die unser Leben prägen. Es waren unsere Eltern, die uns durch Familiengeschichten erklärt haben, wer wir sind. Mit Hilfe von Geschichten, Legenden und Erzählungen lehrten sie uns, Recht von Unrecht zu unterscheiden, uns in der Gesellschaft zurechtzufinden und uns richtig zu verhalten.
Dann waren es die persönlichen Vorlieben oder die Launen des Lebens, die uns von Geschichte zu Geschichte, von Roman zu Roman, von Film zu Film, von Serie zu Serie führten, bis wir zu der Person wurden, die wir heute sind.
Wir wären verblüfft, wenn wir den Einfluss der Geschichten, die wir lesen, hören oder sehen, in jeder unserer Gesten, in unseren Reaktionen, in unseren Verhaltensmustern erkennen könnten.
Es gibt Tage, an denen man sich wie das hässliche Entlein fühlt und andere, an denen man sich wie James Bond fühlt; am selben Tag wacht man mit dem Wunsch auf, das Gute von Don Quijote zu tun und geht mit dem Guten von Voldemort ins Bett. Wir sind fleischgewordene Figuren, erstaunlich reale Geschichten. Das wunderbare Organ, das uns mit Bewusstsein ausstattet, unser Gehirn, erzählt uns eine Geschichte, in der wir die Protagonisten sind und in der sich Helden und Schurken, Abenteuer und Unglücke, Komödien und Dramen kreuzen.
Wenn Sie mehr über die Bedeutung von Geschichten für das normale Leben erfahren möchten, empfehle ich Ihnen die Lektüre des Botschaft, die Papst Franziskus anlässlich des Weltkommunikationstages 2020 veröffentlicht hat. In diesem Text bekräftigt der Papst, dass "es kein Zufall ist, dass die Evangelien Geschichten sind. Sie informieren uns über Jesus, sie "spielen" uns Jesus vor, sie gleichen uns ihm an: Das Evangelium fordert den Leser auf, am gleichen Glauben teilzuhaben, um das gleiche Leben zu teilen". An anderer Stelle bekräftigt er, dass "die Geschichte Christi nicht das Erbe der Vergangenheit ist, sondern unsere Geschichte, die immer gegenwärtig ist" und dass "nachdem Gott Geschichte geworden ist, jede menschliche Geschichte in gewisser Weise göttliche Geschichte ist". In der Geschichte eines jeden Menschen sieht der Vater die Geschichte seines Sohnes wieder, der auf die Erde gekommen ist".
Wenn wir also heute Abend in den Gottesdiensten wieder die majestätische Passion nach Johannes hören, wird es spannend sein, uns selbst in jedem Abschnitt zu entdecken. Wir werden uns im Verräter Judas, im gewalttätigen Petrus, in den heuchlerischen Religiösen Hannas und Kaiphas, im mittelmäßigen Pilatus, im gnadenlos hasserfüllten Pöbel, in den profitgierigen Soldaten oder in den feigen - weil abwesenden - Jüngern wiederfinden; aber auch in Maria, in Johannes und in den heiligen Frauen, im barmherzigen Josef von Arimathäa und Nikodemus, und vor allem in Jesus: "Seht den Menschen (Ecce homo)", wird Pilatus prophezeien, ohne es zu wissen. Und in Jesus, der sich für die Liebe hingegeben hat, gequält, mit Dornen gekrönt und mit einem Purpurgewand bekleidet, wie in einer neuen Schöpfung, offenbart sich zum ersten Mal "der Mensch", die vollkommene Art, Mann und Frau zu sein, nach der wir streben müssen. Mit unserem besonderen Kreuz auf den Schultern wollen wir dieser universellen und ewigen Geschichte aufmerksam zuhören; denn die Geschichte der Menschwerdung Gottes ist die Geschichte unseres Lebens.
Journalist. Hochschulabschluss in Kommunikationswissenschaften und Bachelor in Religionswissenschaften. Er arbeitet in der Diözesandelegation für die Medien in Málaga. Seine zahlreichen "Threads" auf Twitter über den Glauben und das tägliche Leben sind sehr beliebt.