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Christoph OhlyRatzinger ist einer der größten Theologen in der Geschichte der Kirche".

Christoph Ohly, Professor für Kirchenrecht und Rektor der Katholisch-Theologischen Hochschule Köln, ist der Präsident des Neuen Kreises der Jünger Joseph Ratzingers. Im Interview spricht er über die Ursprünge dieser Vereinigung und das Denken von Benedikt XVI.

Fritz Brunthaler-9. Februar 2024-Lesezeit: 10 Minuten

Papst Benedikt XVI. ©OSV

Joseph Ratzinger - später der Papst Benedikt XVI.- ist einer der bedeutendsten Theologen des 20. und 21. Jahrhunderts. Er war vor allem Spezialist für Fundamentaltheologie und lehrte jahrzehntelang an verschiedenen Universitäten in Deutschland: Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg. Wegen seiner Gelehrsamkeit, seiner theologischen Breite und Tiefe und zugleich wegen seines priesterlichen Lebensstils und seiner persönlichen Bescheidenheit scharte sich ein Kreis von Studenten, Doktoranden und Habilitanden um ihn: der "Joseph-Ratzinger-Schülerkreis". Von 1978 an trafen sie sich regelmäßig mit ihrem verehrten Lehrer. Auch nach seiner Wahl zum Papst wurden diese Treffen in Castel Gandolfo fortgesetzt.

Auf Wunsch von Papst Benedikt selbst treffen sich seit 2008 junge Theologen, um sein Werk zu erforschen und - wie auf der Website des "neuen" Schülerkreises zu lesen ist - sich zu verpflichten, seinen theologischen Ansatz weiterzuführen. Christoph Ohly, Professor für Kirchenrecht und Rektor der Katholisch-Theologischen Hochschule Köln, ist der Vorsitzende dieses neuen Schülerkreises von Joseph Ratzinger. Wir haben Professor Ohly zu den Hintergründen und konkreten Zielen des alten und neuen Schülerkreises befragt.

Sehr geehrter Herr Professor Ohly, für Leser, die mit der Person Joseph Ratzinger / Papst Benedikt und seiner Lehre nicht so vertraut sind: Wie ist der – alte oder erste – Schülerkreis überhaupt entstanden: War das eher eine Initiative des Professors Ratzinger? Oder ein spontanes Sich-Zusammenfinden der Schüler bei ihrem Lehrer?

Es ist ja bekannt, dass der damalige Professor Ratzinger an seinen verschiedenen Wirkorten zahlreiche Theologen und Theologinnen auf dem Weg zur Promotion oder zur Habilitation begleitet hat. Zu dieser Arbeit des Professors gehörten neben den persönlichen Gesprächen auch die Kolloquien mit den Doktoranden und Habilitanden, in denen immer wieder Themen aus Theologie und Philosophie behandelt wurden, oft auch unter Einbeziehung namhafter katholischer, protestantischer und orthodoxer Theologen aus dieser Zeit.

Als Joseph Ratzinger dann im Jahre 1977 Erzbischof von München und Freising wurde, entstand die Idee, dieses Format des wissenschaftlichen Arbeitens und der persönlichen Begegnung, sofern irgendwie möglich, in regelmäßigen Abständen fortzuführen. Aus diesem Gedanken sind dann die Treffen des sog. „Schülerkreises“ entstanden, zu denen die Doktoranden und Habilitanden zusammenkamen, die bei Professor Ratzinger studiert und ihre Qualifikationsarbeiten verfasst haben. Es ist, wenn ich es aus den Erzählungen der Schüler recht sehe, beides gewesen: das Anliegen seitens der Schüler gegenüber ihrem akademischen Lehrer als auch die Initiative seitens des Professors, zum wissenschaftlichen und menschlichen Austausch zusammenzukommen.

Haben Sie selbst solche Zusammentreffen erlebt? Kann man das Ambiente näher beschreiben: Universitär, formell? Oder eher spontan, herzlich, ungezwungen?

Nein, diese konkreten Treffen des Schülerkreises habe ich nicht erlebt, da ich ja der jüngeren Generation angehöre, die dann erstmals im Jahr 2008 auf Initiative von Papst Benedikt XVI. und mit Zustimmung des Schülerkreises zu den Begegnungstagen nach Castel Gandolfo eingeladen wurde. Ich weiß allerdings aus den vielen unterschiedlichen Erzählungen der Schüler aus dem Schülerkreis, dass bei diesen Zusammentreffen beides miteinander gut verbunden wurde. Es waren Tage des theologischen Austausches in Vorträgen und Diskussionen, aber ebenso Tage der menschlichen, persönlichen Begegnung. Und im Ganzen getragen waren diese Tage dem Vernehmen nach durch ein geistliches Rahmenprogramm, das charakteristisch war, vor allem in der gemeinsamen Feier der Hl. Messe und des Stundengebetes der Kirche.

Der neue Schülerkreis umfasst nicht bzw. nicht mehr Doktoranden und Habilitanden, sondern – auch jüngere – Theologen, die sich der Erforschung und Weiterführung des Werkes von Joseph Ratzinger widmen. Inwiefern haben sich dadurch seit 2008 die Art der Treffen und deren Ambiente geändert?

Als Benedikt XVI. im Jahr 2007 den 80. Geburtstag feierte, haben einige damalige Assistenten und Assistentinnen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität zu diesem Anlass ein Buch unter dem Titel „Symphonie des Glaubens“ publiziert. Darin konnten wir Angänge an das theologische Denken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. aus Sicht der verschiedenen theologischen Disziplinen zusammenbringen. Papst Benedikt hat dieses Buch auch erhalten und es – zusammen mit anderen Publikationen aus Anlass seines Geburtstages – zum Motiv dafür gemacht, zu dem jährlichen Treffen des Schülerkreises, das seit seiner Wahl auf den Stuhl Petri in Castel Gandolfo stattfand, auch Vertreter dieser jüngeren Generation von Theologen einzuladen.

Von Beginn an setzte sich dieser Kreis, der zunächst den Namen „Junger Schülerkreis“, dann aber richtigerweise „Neuer Schülerkreis Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.“ erhielt, aus katholischen und orthodoxen Theologen sowie aus Vertretern anderer Fachrichtungen wie Philosophie oder Politikwissenschaft zusammen, die aber alle in ihrem Arbeiten einen spezifischen Bezug zum theologischen Denken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. besaßen. Beide Kreise kamen in diesen Tagen zunächst für sich zusammen. Das wurde auch in den ersten Jahren so durchgeführt. Zwischenzeitlich wurde sich über die jeweilige Arbeit ausgetauscht und am Sonntag stand dann die gemeinsame Messfeier mit Papst Benedikt und eine kurze Zusammenkunft mit ihm auf dem Programm.

Über die Jahre hinweg sind durch die Begegnungen und Gespräche zahlreiche Freundschaften gewachsen und die beiden Kreise konnten in ihrer unterschiedlichen Herkunft und Prägung gut zusammenwachsen. Um die Perspektive der zukünftigen Arbeit entsprechend zu stärken, hat sich der Neue Schülerkreis auf Bitte von Papst Benedikt hin im Jahr 2017 die Rechtsform eines eingetragenen Vereins gegeben. Während der Schülerkreis eher eine lose Struktur beibehielt, gab sich der Neue Schülerkreis bewusst eine Rechtsform, die auch für künftige Generationen einen guten Raum wissenschaftlicher Zusammenarbeit und persönlicher Begegnung bieten wird.

Wie würden Sie das Zusammenwirken der beiden Schülerkreise beschreiben?

Wie bereits gesagt ist das Zusammenwirken mit den Jahren durch die persönlichen Beziehungen auch außerhalb der Zusammenkünfte intensiver geworden. Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Seit 2019 veranstalten wir in jedem Jahr anlässlich der römischen Begegnungstage auch ein öffentliches Symposium, mit dem wir im Format verschiedener Vorträge und Diskussionen das theologische Denken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. im Blick auf das jeweilige Thema beleuchten und zugleich vielen Interessierten zugänglich machen möchten.

So haben wir uns in den vergangenen Jahren wichtigen Themen im Licht des theologischen Denkens von Papst Benedikt widmen können: der Bedeutung und Sendung des Amtes in der Kirche, der fundamentalen Frage nach Gott, der Botschaft von der Erlösung des Menschen in Jesus Christus und dem Verhältnis zwischen verbindlicher Wahrheit des Glaubens und einer möglichen Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre. Daraus erwachsen sind die jeweiligen Tagungsbände mit allen Vorträgen und Predigten, die in den Ratzinger-Studien im Pustet-Verlag in Regensburg veröffentlicht wurden und somit zum Nachlesen vorliegen. Gerade diese Publikationen sind ein schöner Ausweis für das Zusammenwirken der beiden Schülerkreise.

Hl. Schrift, Exegese, Kirchenväter, Kirche, Liturgie, Ökumene sind Kennzeichen der Theologie Joseph Ratzingers. Ist es möglich, aus dieser Fülle den für Sie bzw. für den Neuen Schülerkreis zentralen Punkt herauszugreifen?

Das ist tatsächlich schwierig, insofern der Neue Schülerkreis aus inzwischen fast 40 Mitgliedern besteht, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit den großen und kleinen Themen im theologischen Denken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. befassen. Sicher wird man sagen können, dass Themen wie die Heilige Schrift und ihre Exegese im Licht der Einheit von Altem und Neuem Testament, die Wiederbegegnung mit den Kirchenvätern sowie der Theologiegeschichte überhaupt und andere grundsätzliche Themen im Blick auf verschiedene theologische Sachgebiete immer berührt werden, da sie grundsätzlicher und richtungsweisender Natur sind.

Aufgrund meines persönlichen Schwerpunktes im Kanonischen Recht interessieren mich natürlich all jene Sachgebiete, die mit Fragen des Rechts zu tun haben. In geistlicher Hinsicht können und müssen zudem die Jesus-Bücher oder auch die Predigt-Bände in der Reihe der Gesammelten Schriften (JRGS) genannt werden, die auch für den Bereich der Verkündigung und des geistlichen Lebens eine unvergleichbare Quelle der Anregungen und Anstöße bieten.

Auch im vergangenen Oktober 2023 wurden gemeinsam von der Universität Francisco de Vitoria und der Vatikanischen Stiftung Joseph Ratzinger Benedikt XVI. herausragende Leistungen in den Bereichen Forschung und Lehre mit dem „Open Reason Award“ ausgezeichnet: Lehrer und Wissenschaftler, die sich in ihren Arbeiten für eine „offene Vernunft“ einsetzen, wie sie Papst Benedikt XVI. gefördert hat. Wiederspiegelt sich das in der Tatsache, dass seine Schüler, wie auf der Webseite erzählt, nicht einer ganz bestimmten Schulrichtung angehörten, sondern ein „buntes Häuflein“ waren – und wohl auch weiterhin sind?

Es ist bekannt, dass Joseph Ratzinger nie eine, wenn man so formulieren möchte, „eigene Schule“ begründen wollte. Und wenn man mit diesem Vorzeichen auf den Schülerkreis seiner Doktoranden und Habilitanden schaut, dann kommt man tatsächlich zu der Einsicht, dass es sich hier nicht um eine einheitliche „Schulrichtung“ handelt. Dafür sind die Charaktere und die theologischen Forschungsschwerpunkte seiner Schüler zu verschieden. Wohl aber lässt sich feststellen, dass sich hier immer wieder jene Grundansätze seines theologischen Denkens identifizieren lassen, die in Folge dessen der Neue Schülerkreis in seiner Vereinssatzung als Ziele und Überzeugungen des eigenen theologischen Arbeitens formuliert hat.

Dazu gehören unter anderem die grundlegende Bedeutung der Heiligen Schrift in ihrer Einheit aus Altem und Neuem Testament; die Verbindung historisch-kritischer Exegese mit der theologischen Schriftauslegung; die Bedeutung der Kirchenväter für die Theologie; die unabdingbare Verwurzelung der Theologie und der Theologen im Leben der Kirche; die Bedeutung der Liturgie für die Theologie; die ökumenische Ausrichtung sowohl im Blick auf die Orthodoxie als auch die reformatorischen Gemeinschaften.

Aus verschiedenen Schriften bzw. Aussagen von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. ergibt sich, dass für ihn der Glaube Jesus Christus selbst bzw. die Begegnung mit ihm ist. Hat sich das irgendwie auch in seinem - praktischen, alltäglichen - Leben gezeigt?

Uns stehen die letzten Worte, die von Papst Benedikt XVI. auf seinem Sterbebett überliefert wurden, als Worte des Gebetes und des Christusbekenntnisses lebendig im Herzen: „Signore, ti amo!“ – „Herr, ich liebe Dich!“. Man weiß sich dadurch unmittelbar an die Worte des Petrus erinnert, der auf die dreimalige Frage Jesu, ob Petrus ihn liebe, schließlich antwortet: „Herr, Du weißt alles, Du weißt, dass ich Dich liebe!“ (Joh 21,17).

Dieser „Schlussakkord“ seines irdischen Lebens verweist auf das Zentrum seines Lebens, das nicht, wie er zu Beginn seiner Enzyklika „Deus caritas est“ formulierte, eine Idee oder ein Konstrukt, sondern eine Person sei, die Begegnung mit der Person Jesus Christus, der von der Kirche als wahrer Gott und wahrer Mensch bekannt wird. Anlässlich des 65. Priesterjubiläums von Papst Benedikt XVI. hat Papst Franziskus diese christologische Mitte im Leben und Wirken seines Vorgängers mit treffenden Worten ausgedrückt: „Das ist der Ton, der ein ganzes Leben beherrscht, das im priesterlichen Dienst und der im Dienst der wahren Theologie aufgeht, die Sie nicht zufällig als ‘die Suche nach dem Geliebten’ definiert haben.

Das ist es, was Sie immer bezeugt haben und noch heute bezeugen: dass das Entscheidende unserer Tage […], jenes, mit dem allein auch der ganze Rest kommt, darin liegt, dass der Herr wirklich gegenwärtig ist, dass wir nach ihm verlangen, dass wir ihm innerlich nahe sind, dass wir ihn lieben, dass wir wirklich zutiefst an ihn glauben und ihn im Glauben wahrhaft lieben. Dieses wahre Lieben ist es, das uns wirklich das Herz erfüllt, dieses Glauben ist es, das uns sicher und ruhig auf den Wassern gehen lässt, auch mitten im Sturm, wie dies dem Petrus geschah. Dieses Lieben und dieses Glauben ist es, das es uns gestattet, in die Zukunft nicht voll Angst oder Nostalgie zu blicken, sondern mit Freude, auch in den nunmehr fortgeschrittenen Jahren unseres Lebens“ (28.06.2016).

Sowohl die Publikationen der Schülerkreistreffen als auch die Tagungen bzw. Jahrestreffen sind offensichtlich Mittel, die Ziele des Vereines zu verwirklichen. Gibt es dazu Resonanz in der Theologie, in der theologischen Forschung, an den Universitäten? Können Sie das irgendwie benennen?

Ich möchte lediglich ein Beispiel aus vielen möglichen Publikationsformaten der Mitglieder der beiden Schülerkreise herausnehmen, um Ihre Frage daran zu verdeutlichen. Seitdem wir zusammen mit den jährlichen römischen Begegnungstagen auf ein öffentliches Symposium zum Thema der Zusammenkunft ausrichten, haben wir die Vorträge, Statements und Predigten dieser Tage jeweils in der Reihe der „Ratzinger-Studien“ im Regensburger Pustet-Verlag als Tagungsband veröffentlicht. Seit 2019 stoßen diese Publikationen auf reges Interesse und werden durch die persönliche Lektüre ebenso wie in Rezensionen und Besprechungen rezipiert.

Wir sind dankbar, dass auch dieses Instrument – neben weiteren anderen – dazu beiträgt, das theologische Denken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. im Licht aktueller Fragestellungen zu erschließen und so auch bekannt zu machen. Unzählige positive Reaktionen, die wir darauf erhalten, motivieren uns, daran auch in den kommenden Jahren festzuhalten und auf diese Weise eine wichtige Unterstützung für Theologie und Glaube zu leisten, in deren Dienst Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. zeit seines Lebens stand.

Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. stammt aus Deutschland, seine Muttersprache war Deutsch, auf der Webseite des Neuen Schülerkreises wird Deutsch als Hauptsprache der Seite angegeben. Inwiefern gelingt es dem Schülerkreis, über Deutschland bzw. über die deutschsprachige Theologie hinaus Aufmerksamkeit auf das theologische Erbe des verstorbenen Papstes zu lenken??

Das sind letztlich die beiden Seiten einer Medaille. Auf der einen Seite gehen wir davon aus, dass ein Mitglied des Neuen Schülerkreis die deutsche Sprache beherrscht, um Joseph Ratzinger in der Originalsprache lesen und darüber auch theologisch diskutieren zu können. Einen Autor in seiner Herzenssprache zu lesen und zu verstehen, ist wichtig. Das gilt ebenso für die Schriften der Kirchenväter, großer Gestalten der Theologie und der Philosophie der Kirchengeschichte bis hinein in die Moderne. Übersetzungen sind immer auch schon Interpretation. Daher bedarf es der Fähigkeit, sich in die Eigenheiten einer Sprache und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten hineinzuversetzen.

Auf der anderen Seite haben wir aber auch zahlreiche Mitglieder im Neuen Schülerkreis, die nicht deutsche Muttersprachler sind, sondern aus anderen Sprachräumen stammen. Die internationale, man könnte auch sagen, weltkirchliche Dimension, die ja gerade die Person Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. stark geprägt hat, ist auch uns ein großes Anliegen. Über diese Mitglieder haben wir zugleich die Möglichkeit, in andere Sprachräume hineinzuwirken. So übertragen wir beispielsweise das römische Symposium live inzwischen in englischer und spanischer Simultanübersetzung, um darüber in zwei große Sprachräume der Welt und der Kirche hineinzuwirken.

Joseph Ratzinger hat einmal gesagt, er hätte gegen Ende seiner akademischen Laufbahn wie andere Professoren auch gerne eine Art Gesamtwerk geschrieben. Das war ihm durch seine Berufung zum Präfekten der (damals) Glaubenskongregation nicht mehr möglich. Wird der Schülerkreis durch seine Forschungen und Veröffentlichungen das in gewissem Maße ausgleichen können?. Können Sie das mit Ihrer Forschung und Ihren Veröffentlichungen einigermaßen kompensieren?

Im Blick auf solche Projekte ist zunächst einmal Demut angesagt. Wir sind uns sehr bewusst, dass wir es bei Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. mit einer der größten Theologen- und Kirchengestalten der jüngeren Kirchengeschichte zu tun haben, die uns in unserem Denken weit überragt. Den Anspruch zu vertreten, wir könnten sozusagen in seinem Namen und von seinem Denken her ein solches Gesamtwerk verfassen, wäre ein Ausdruck des Hochmutes. Nein, ich glaube, dass es Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. gar nicht um eine Art von Gesamtwerk ging – sieht man einmal von dem dreibändigen Jesus-Buch ab, das zu schreiben ihm immer ein großes Anliegen war und für das er sich in seinem Pontifikat auch die letzten freien Augenblick und die ihm zur Verfügung stehenden Kräfte abgerungen hat.

Vielmehr eröffnen sich mir seine unzähligen Publikationen wie die kleinen und großen Bausteine eines Mosaiks, die als solche zusammen ein Gesamtbild ergeben. Unsere Arbeit liegt folglich darin, die Einzelthemen und die zusammenhängenden Linien zu erschließen und sie in der Gestalt seines theologischen Denkens fortzuführen. Das ist im Blick auf viele aktuelle Themen ein großer Berg von Arbeit, der auf uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wartet. Ich bin aufgrund der jetzt erkennbaren jungen Generation fest davon überzeugt, dass künftige Generationen Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. als Lehrer des Glaubens und großartigen Initiator theologischen Denkens und Ringens immer wieder und neu entdecken werden.

Das erste Treffen ohne Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. war im vergangenen Jahr das Symposium in Rom am 23. September. Inwiefern war es anders als die bisherigen Treffen: Vom Rahmen, vom Bewusstsein der Teilnehmer, von der Resonanz her?

Das erste Treffen nach dem Heimgang von Papst Benedikt XVI. hatte natürlich einen eigenen Charakter und war seinem theologischen Erbe gewidmet. Bereits der Titel zu diesen Tagen bringt dies deutlich zum Ausdruck: „Mitarbeiter der Wahrheit sein. Das reiche Erbe von Papst Benedikt XVI. in die Zukunft tragen“. In Vorträgen, Statements, Erzählungen und Predigten wurden grundlegende Facetten, aber auch vereinzelte Detailfragen zu seiner Theologie und zu seiner Person erörtert.

Zu Hilfe kamen hier die vier großen Themen der Konstitutionen des II. Vatikanischen Konzils, die zugleich auch als zentrale Bausteine seiner Theologie gelten können: Offenbarung Gottes, Kirche, Liturgie, Kirche und Welt. Besonders beeindruckt hat mich persönlich in diesen Tagen die Feier der Hl. Messe am Grab des Apostels Petrus sowie der anschließende gemeinsame Besuch mit Gebet an seinem Grab in den Grotten des Petersdoms. – Auf der Website des Neuen Schülerkreises können übrigens alle Vorträge des Symposiums nachgehört werden, bevor im Verlauf des Jahres der vollständige Tagungsband erscheinen wird: https://www.neuer-schuelerkreis.com/romtagung-2023

Schon vor der Veröffentlichung der „Jesus-Bücher“ und unabhängig davon haben bekannte Persönlichkeiten der Katholischen Kirche wie Kardinal Koch Papst Benedikt als Kirchenlehrer gesehen. Kann die Arbeit des Schülerkreises dazu beitragen, dass er bald dazu erklärt wird?

Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir unsere Arbeit als Neuer Schülerkreis in den kommenden Jahren gut und ertragreich gestalten. Gemäß unserer Vereinssatzung liegt diese Arbeit unter anderem in der Förderung der wissenschaftlichen Erschließung des theologischen Werkes von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI., in der Sicherung und Weiterentwicklung seines geistigen Erbes für die katholische Theologie sowie in der Förderung der internationalen, konfessionsübergreifenden Zusammenarbeit von Theologinnen und Theologen. Ich denke, dass uns damit viel überantwortet und aufgetragen ist. Sollten wir damit einen Beitrag leisten können, der seine Bedeutung als Lehrer für die Kirche unserer und der kommenden Zeit erkennbar werden lässt, wäre ich natürlich sehr dankbar.

Der AutorFritz Brunthaler

Österreich

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