Kultur

Wenn Musik im Angesicht des Todes Hoffnung sät

Die Musik ist nicht nur eine Quelle des Trostes in den tragischen und bitteren Momenten des Todes. Im Fall der großen Meister bringt sie auch ein neues Licht, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wenn der Lehrer zudem ein gläubiger Mensch ist, tröstet sie den Zuhörer mit der süßen Harmonie der Hoffnung, die den Sieg Christi bringt.

Antonio de la Torre-6. September 2024-Lesezeit: 6 Minuten
Musik

(Unsplash / Marius Masalar)

Eine der frühesten Kompositionen von Johann Sebastian Bach (1685-1750) ist die Kantate mit der Nummer 106 des BWV-Katalogs, deren Titel (wie in allen Kantaten Bachs) aus der ersten Phrase des Textes entnommen ist: "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit". Als Besonderheit trägt diese Kantate auch den Untertitel "Actus Tragicus", der nicht auf den Komponisten zurückgeht, sondern erstmals in einer späten Abschrift der Partitur aus dem Jahr 1768 erscheint.

Porträt von J.S. Bach von Hausmann (Wikimedia Commons / Johnhuxley)

Die Kantate wird gewöhnlich auf 1707 oder 1708 datiert, also auf die Zeit, in der Bach kurzzeitig Organist an der Kirche St. Blasius im thüringischen Dorf Mühlhausen war. Sie ist für eine kleine Besetzung geschrieben: vier Stimmen, zwei Blockflöten, zwei Violen da Gamba und einen Basso continuo.

Es handelt sich also um das Werk eines Erstlings, der im Alter von 22 Jahren, kurz vor der Heirat mit seiner Cousine Maria Barbara, den Auftrag erhielt, dieses Werk für ein Begräbnis zu komponieren. So früh diese Kantate auch ist, so ist sie doch bereits ein Meisterwerk, das den Komponisten zum ersten Mal als das musikalische Genie offenbart, das er ist. Nur sechs frühe Kantaten Bachs sind erhalten, was dieses Werk noch wertvoller macht. Später, als er in Weimar (von 1708 bis 1717) und in Leipzig (von 1723 bis zu seinem Tod) arbeitete, folgten viele weitere Kantaten, die sich in Form und Stil von denen seiner Jugendzeit unterscheiden.

Eine biblische Musiksequenz

Die Form dieser Kantate ist immer noch sehr einfach und besteht aus einer einfachen Reihe von sehr kurzen biblischen Texten über den Tod. Zu einem Block von Texten aus dem Altes Testamentdie Betrachtungen und Warnungen über den Tod enthalten, folgt ein Block aus dem Neuen Testament, der die Hoffnung im Angesicht des Todes und den Geist zum Ausdruck bringt, in dem der Gläubige ihm begegnen soll. Die Auswahl der Texte ist möglicherweise dem jungen Komponisten zu verdanken, der von Jugend an eine weise Ehrfurcht vor dem Wort Gottes und der Theologie zeigte, wie aus dem Inhalt seiner persönlichen Bibliothek hervorgeht. Insbesondere scheint diese Kantate ein musikalisches Echo der lutherischen Theologie über die "Ars Moriendi" zu sein, d. h. die Art und Weise, wie dem Gläubigen erklärt wird, wie er seine Pflicht angehen soll, sich richtig auf den Moment des Todes vorzubereiten.

Zu diesem Zweck ordnet er die Abfolge der Texte wie einen kurzen (und tragischen) Akt eines sakramentalen Schauspiels an, in dessen Protagonisten sich der Hörer wiedererkennen muss, um das Werk mit der vom Komponisten angestrebten Bedeutung zu hören. In einer fortlaufenden Handlung, in der die Nummern miteinander verbunden sind, hört der Hörer zuerst die prophetischen Stimmen, die ihn ermahnen und warnen, dann begegnet er der gleichen "vox Christi" und hört am Ende mit einem Choral die Stimme der gläubigen Gemeinde.

In der Mitte des Aktes, wie auch in seinem Herzen, steht das Eingreifen der Seele im Sopran, der in einem herzzerreißenden Flehen nach dem Kommen Christi und dem Hören seiner eigenen Stimme ruft. Diesem ganzen Ensemble ist eine wunderbare kurze instrumentale Einleitung vorangestellt, die Bach als Präludium komponiert (wie er es auch in vielen Weimarer und einigen Leipziger Kantaten tun wird).

Anklänge an das Alte Testament

Die Kantate besteht also aus dieser Sonatine, vier Vokalnummern über das Alte Testament, einer Seelenintervention, zwei Nummern über das Neue Testament und einem Schlusschor. In der Sonatine bewundern wir ihre homophone Einfachheit und die zarte Nostalgie, die sie hervorruft, weit entfernt von den tragischen Auswirkungen von Trauerkompositionen, die dem Glauben nicht so nahe stehen wie diese.

Über einem einfachen Fluss der Bratschen und des Basso continuo erklingen die beiden Blockflöten, ein Instrument, das traditionell mit Beerdigungsriten in Verbindung gebracht wird, mit einem einfachen Dreiklangsmotiv, das zu einem Dur-Akkord führt, der den Weg für die erste Gesangsnummer frei macht.

Es handelt sich um einen Chor, der nach einem weisheitlichen Satz (der der Kantate ihren Titel gibt) und einer kleinen rhythmischen Geste der Instrumente (eine fröhliche Gavotte, die zweifellos ein so ernstes Thema erhellen soll) in einen sehr lebhaften Chor im ternären Rhythmus über den Text "in ihm leben wir, bewegen wir uns und existieren wir" übergeht (Fakten 17, 28).

Ein dramatischer Kontrast führt eine zweite sinnstiftende Idee ein: Wir leben in der richtigen Zeit, die Gott bestimmt hat. Der Refrain verstummt nach den Worten "wenn er will". In wenigen Takten wechselt der Zuhörer von der freudigen Reflexion zur tragischen Erkenntnis, indem er daran erinnert wird, dass der ganze Lebensfluss "in Ihm" stattfindet.

Die zweite Nummer, ein Arioso für Tenor, veranschaulicht Salz 90, 12: "Lehre uns, unsere Jahre zu zählen, damit wir ein gesundes Herz bekommen". Die Stimme des Psalmisten David verflechtet sich mit den beiden Flöten, begleitet von den beiden Gamben und dem Continuo, um uns zu ermahnen, die Pflicht eines jeden Gläubigen nicht zu vernachlässigen, eine vernünftige Vorbereitung auf den Moment des Todes zu erlangen.

Plötzlich bricht die Bassgitarre in die dritte Nummer ein und nimmt die Stimme des Propheten Jesaja auf, um zu singen: "Bereite dein Haus vor, denn du wirst sterben, und du wirst nicht am Leben sein" (Jesaja 38, 1). Es ist die Warnung des Propheten an den sterbenden König Hiskia, mit dem sich der Hörer identifizieren muss, damit, so wie Hiskia durch den Glauben an den Propheten genesen ist, der Christ durch seinen Glauben an Jesus Christus den Tod überwindet.

Die Unruhe, die diese Worte im König hervorrufen würden, wird durch die unruhige rhythmische Figur dargestellt, die von den Flöten wiederholt wird, diesmal ohne die Zartheit der Violen da Gamba, und die widerhallt, wenn die Stimme verstummt.

Ohne Unterbrechung singt der Refrain mit der Stimme des Weisen: "Es ist ein ewiges Gesetz, dass der Mensch sterben muss" (Kirchlich 14, 17). Der vom Chor gewobene komplexe Kontrapunkt wird immer dichter, und das Timbre der Bratschen und Flöten wird immer weiter zurückgenommen. Als wolle sie sich aus diesem beklemmenden Netz befreien, fleht die Seele, deren Stimme vom Sopran übernommen wird, mit den Worten "Ja, ja, komm, Herr Jesus" (Apokalypse 22, 20). Mit ihnen kehrt die Zartheit der Bratschen zurück, aber nur knapp, denn der bedrückende Chor wird immer wieder wiederholt, als ob er die Seele in Todesangst verstrickt ("der Mensch muss sterben"). Der Chor und die Instrumente werden gedämpft, und in einer brillanten dramatischen Geste singt der Sopran eine frei fallende Melodie über dem Basso continuo, die mit den Worten "Komm, Herr Jesus" flüsternd und ohne jede Begleitung endet.

Die Stimme Christi

Im Angesicht dieses Schreis der Seele öffnet sich der leuchtende Block des Neuen Testaments. Zunächst erinnert der hohe Ort an die Worte Christi im Tod, so dass die Seele sie sich zu eigen machen kann: "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist" (Lucas 23, 46). Es ist eine ruhige Melodie, die nur vom Basso continuo begleitet wird, wie auch der Sopran am Ende der vorherigen Nummer, der ebenfalls hoffnungsvoll singt: "Du, der treue Gott, wirst mich erlösen" (Psalm 31, 6).

Die liebenswerten Gamben kehren zurück, wenn der Bass erscheint und dieselbe "vox Christi" bringt, die selbst die Seele tröstet, indem sie singt "Heute wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23,43). Wie später in der Passion nach Matthäus bietet die Musikalisierung Christi als Bass in Begleitung der Streicher eine Darstellung, die die göttliche Kraft Christi mit der Zärtlichkeit seiner Menschlichkeit auf brillante Weise zusammenführt.

Wie für frühe Kantaten typisch, wiederholt der Bass seinen Einsatz über einer Choralmelodie, die vom Alt gesungen und von den Violen da Gamba begleitet wird. Der Choral vertont eine kurze Strophe, die Luther über den Gesang des Zacharias "Nun lässt du deinen Knecht in Frieden gehen" geschrieben hat. 

Die Nummer endet mit diesem Choral, der über einem reichen Kontrapunkt schwebt, der von den beiden Bratschen im Continuo ausgearbeitet wird, als wolle man die Gewissheit des Friedens und der Freude auskosten, die nach all dem, was man in diesem Akt erlebt hat, in der Seele bleibt.

Schließlich müssen wir dem Gott, der uns von der Sünde erlöst und unsere Angst im Angesicht des Todes in Hoffnung verwandelt hat, den Dank und das Lob darbringen, das ihm gebührt. Zu diesem Zweck kehren die Blockflöten zurück, um den Chor und das gesamte Instrumentalensemble bei der Verherrlichung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu begleiten, wiederum mit dem tanzbaren Rhythmus der Gavotte, der die Freude und die Kraft unterstreicht, die der Gläubige durch seinen Glauben erhält. Und da diese Kraft von Jesus Christus kommt, mündet dieser Schlusschor in eine Fuge voller Leben und Bewegung, die mit den liturgischen Worten "Durch Jesus Christus, Amen" endet.

Das überraschende Ende dieses Chores wird hier nicht verraten, so dass es jeder Hörer für sich selbst entdecken kann. Dazu eignet sich eine gute Aufnahme des russischen Ensembles "Bach-Consort", bei der man nicht nur diese wunderbare Kantate hören, sondern auch die Einsätze der verschiedenen Stimmen und Instrumente visuell verfolgen kann.

Der AutorAntonio de la Torre

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