Kultur

Die Verkündigung in der Kunst bis zum Hochmittelalter

Die Verkündigung des Herrn (Lk 1,26-38) ist in der christlichen Tradition der Moment der Menschwerdung. In der Heilsgeschichte ist die Verkündigung an Maria der Moment der Inkarnation. "Fülle der Zeit". (Gal 4,4). Durch ihre Zustimmung zur göttlichen Botschaft wird die Jungfrau Maria die Mutter Jesu. Diese biblische Szene ist in der Kunst häufig dargestellt worden.

Omnes-10. März 2017-Lesezeit: 4 Minuten
Detail der Verkündigung, 432-440 (Rom, Santa Maria Maggiore)

Neun Monate vor dem Fest der Geburt des Herrn begeht die Kirche das Fest der Verkündigung an Maria. Künstler aller Zeiten haben sie dargestellt. Seine wichtigste ikonografische Quelle ist das Lukasevangelium (1,26-38). Die ältesten Darstellungen finden sich in den Katakomben von Rom, z. B. in der Bemalung des Gewölbes einer cubiculum aus den Katakomben von Priscilla aus dem 3. Jahrhundert. Seit dem 5. Jahrhundert findet sich dieses Motiv auch in Kirchen.

In der römischen Basilika St. Maria Major (432-440) ist die Verkündigung die erste Szene auf der linken Seite des Triumphbogens. Maria wird als Königin dargestellt. Bekleidet mit einem goldenen kaiserlichen Gewand sitzt sie auf einem Thron. An ihren Seiten wird sie feierlich von drei Engeln in weißen Gewändern begleitet. Ihr Haar ist mit kostbaren Perlen geschmückt, und ihre Füße ruhen auf einem suppedaneum. Diese zeremoniell-höfischen Details erklären sich durch den Beschluss des Konzils von Ephesus (431), sie als Mutter Gottes zu definieren (Theotokos).  

Dialog zwischen Maria und Gabriel

Die Szene der Geburt Christi erscheint nicht im Triumphbogen der Basilika. Es ist also davon auszugehen, dass die Verkündigung hier die Menschwerdung einschließt. Über den Wolken am Himmel verkündet der vierte Engel Maria die Empfängnis. Darüber hinaus kann eine weiße Taube als Symbol für den Heiligen Geist gesehen werden.

Maria bereitet ein Purpurtuch für den Schleier des Tempels vor, der links synthetisch dargestellt ist. Das Motiv des Webens des Purpurschleiers geht auf legendäre Ergänzungen der Protoevangelium des Jakobus (PsJac 11, 1-3), aus dem 2. Jahrhundert. Eine weitere Quelle ist die Evangelium des Pseudo-Matthäus (PsMt 9), aus dem 9. Jahrhundert. In der Volksfrömmigkeit und der Ikonographie war das Motiv auch bis ins späte Mittelalter weit verbreitet, denn die Legenda aurea (um 1264) von Jacobus de Voragine, die weithin gelesen wurde, erhielt diese beiden apokryphen Texte.

Vor allem in der byzantinischen Kunst war das Motiv des Purpurtuchs weit verbreitet. Auf dem Elfenbeinrelief der Verkündigung auf dem Stuhl des Erzbischofs Maximian (546-556 in Ravenna, Erzbischöfliches Museum) sitzt Maria auf einem hochlehnigen Thron. Ihre linke Hand hält eine violette Spindel fest. Ihre rechte Hand zeigt auf den Erzengel Gabriel, der die frohe Botschaft verkündet. Wie engelGabriel trägt normalerweise einen Botenstab. In Ravenna kennzeichnet ihn ein Kommandostab als "Fürst der himmlischen Miliz" (Archistrategos). Marias Haupt ist mit einem Jungfrauenschleier bedeckt (Maphorion).  

Im Mittelalter stellten die Künstler den Dialog zwischen Maria und Gabriel meist im Stehen dar und betonten Handgesten und Blicke. Auch bei der Illumination von Büchern und Manuskripten bevorzugten die Kompositionen stehende Figuren. Die Evangelien von Otto III. (um 1000, Aachen, Domschatzkammer) zeigt die Verkündigung in einem feierlichen und monumentalen Stil (fol. 125r). Die Hand Gottes des Vaters auf einem runden Bild weist auf das übernatürliche Geschehen bei der Menschwerdung des Sohnes hin. Dieser Typus mit den stehenden Figuren setzte sich in der Bildhauerei an den Portalen der gotischen Kathedralen fort, so in Chartres, Reims, Amiens, Straßburg, Bamberg, Freiburg und Köln.

Der Heilige Geist, das wirksame Prinzip der Menschwerdung, wurde früher symbolisch als Taube entlang eines Lichtstrahls dargestellt, wie auf dem Gemälde von Carlo Crivelli (1486, London), Nationalgalerie) oder direkt über Marias Gesicht, wie 1480-1489 auf dem Gemälde von Hans Memling (New York, Das Metropolitan Museum of Art).

Erzählerischer Realismus

Im 15. Jahrhundert entstand eine Art von Verkündigung, in der das Christuskind in voller Gestalt erscheint. Die Antependium des Hochaltars in der Kathedrale von Teramo (1433-1448, Nicola da Guardiagrele) stellt Jesus als einen bambino in den Händen des Engels, der ihn Maria anbietet. Im Tympanonrelief der Marienkapelle in Würzburg (1430-1440) hingegen steigt Jesus kopfüber durch den Blitz herab. Wie ein Schlauch führt dieser Lichtstrahl vom Mund Gottes, des Vaters, zu Marias Ohr, wo der Heilige Geist ihr die frohe Botschaft ins Ohr haucht (Conceptio per aurem). In der zentralen Tabelle des Mérode Triptychon (1425-1435), von Robert Campin (New York, Metropolitan Museum of Art), erscheint das Jesuskind mit einem kleinen Kreuz auf den Schultern.

Welche Bedeutung kann diese kleine Figur des zu Maria "fliegenden" Christus haben? Auf den ersten Blick scheint es hier einen Konflikt mit der dogmatischen Tradition zu geben. Im Glaubensbekenntnis betet die Kirche auch heute noch: "...durch die Kraft des Heiligen Geistes wurde er von Maria, der Jungfrau, inkarniert". (et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine). Ein Blick auf die byzantinische und mittelalterliche westliche Ikonographie zeigt, dass die genannten Bilder keineswegs als "häretisch" zu betrachten sind. Anhand des Beispiels "Mary's falling asleep" (koimesis, dormitio) zeigt, dass die menschliche Seele in der künstlerischen Tradition dieser Zeit als kleine Figur dargestellt wurde. In den Darstellungen der Verkündigung symbolisiert das "Kind" also die von Gott geschaffene Seele, während der Leib Jesu allein von Maria stammt.

Der Ort der Verkündigung wurde ab dem 15. Jahrhundert als ein bestimmter Raum dargestellt. In Italien stellte Piero della Francesca 1452-1466 die Szene in einem Palast (Arezzo, San Francesco) und Fra Angelico 1430-1432 in einem Portikus (Madrid, Prado) dar. Beide betonen auch die Majestät und Demut Marias. Die frühen Flamen zogen das Innere einer Kirche vor, wie Jan van Eyck in den Jahren 1434-1436 (Washington, Nationale Kunstgalerie) oder das zeitgenössische bürgerliche Interieur, wie Rogier van der Weyden um 1455 mit dem Triptychon des Altars von St. Columba in Köln (München, Alte Pinakothek). Der erzählerische Realismus dieser Gemälde sollte die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich ziehen.

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