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Atheismus, eine Religion?

Ein atheistischer Verein in Österreich hat beantragt, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Das zuständige Gericht hat den Antrag abgelehnt, aber der Verfassungsgerichtshof muss noch entscheiden. Die Frage ist, ob der Atheismus eine Religion sein kann.

Fritz Brunthaler-5. Dezember 2022-Lesezeit: 4 Minuten
Die Stadt Wien

Die Stadt Wien, Hauptstadt Österreichs (Foto: Unsplash/Jacek Dylag)

Als Ausdruck einer kirchenkritischen Haltung hieß es in den 1970er und 1980er Jahren in den bis dahin traditionell katholischen Ländern Europas, so auch in Österreich, oft: "Christus ja, Kirche nein". Spätestens um die Jahrtausendwende wurde diese Aussage durch die Frage nach Gott an sich ersetzt: Gott oder etwas anderes? oder was? oder gar nichts... Obwohl die Soziologen in all den Jahren gesagt haben, dass das Interesse an der Religion bestehen bleibt, gilt dies nicht für das Interesse an Gott. Religion oder Spiritualität auch ohne Gott?

Atheismus in Österreich

Am 30. Dezember 2019 wird die "Religiöse Atheistische Gesellschaft Österreichs" ("....Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich"ARG) hat den Antrag auf staatliche Anerkennung als konfessionelle Glaubensgemeinschaft gestellt, der erste Schritt zur Anerkennung als gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft. Die ARG erfüllt die gesetzlichen Anforderungen, denn sie hat mehr als 300 Mitglieder; und sie ist nicht die einzige atheistische Gruppe in Österreich: Es gibt mehr als ein halbes Dutzend von ihnen, die wiederum nur einen Bruchteil aller Atheisten in Österreich darstellen. Andere säkulare Verbände kritisieren den ARG-Vorschlag, weil er eine Komplizenschaft mit einem veralteten System implizieren würde.

Das wirft die Frage auf: Kann Atheismus eine Religion sein, ist er eine Religion oder wird er eine Religion, wenn der Staat eine Gemeinschaft von Atheisten als Religionsgemeinschaft anerkennt? Was versteht ein Staat, in diesem Fall Österreich, unter Religion? Im österreichischen Recht gibt es keine genaue Definition. Generell werden drei Elemente als charakteristisch für den Religionsbegriff genannt: Neben einer Gesamtdeutung der Welt und der Stellung des Menschen in ihr sowie den entsprechenden Handlungsorientierungen ist vor allem der Bezug zur Transzendenz entscheidend. Fehlt diese, spricht man von einer "Weltsicht" oder "Weltanschauung".

Aber... Atheismus als Religion, ist das nicht absurd? Atheismus bedeutet "ohne Gott". Und geht es in der Religion nicht immer um Gott oder etwas Göttliches? Die Vertreter der ARG glauben nicht an Gottheiten, die ihrer Meinung nach "von Menschen geschaffen" wurden. Dennoch versteht sich die ARG als Religionsgemeinschaft: Religion ist für sie eine Art gelebte Philosophie, und die Ausübung der Religion ist eine praktische Lebenshilfe. So kann man auf der ARG-Website sogar von atheistischer Seelsorge lesen, z.B. in Leidens- und Sterbesituationen, auch ohne den Glauben an eine unsterbliche Seele. Die Seelsorge kommt also der Psychotherapie nahe.

Atheismus, eine Religion?

Die Zweites Vatikanisches KonzilIn "Gaudium et Spes" (Nr. 19-21) spricht er vom Atheismus in Bezug auf die Menschenwürde: "Die Anerkennung Gottes steht in keiner Weise im Gegensatz zur Menschenwürde, da diese Würde ihre Grundlage und Vollkommenheit in Gott selbst hat". Und: "Der höchste Grund für die Menschenwürde besteht in der Berufung des Menschen zur Vereinigung mit Gott". Andererseits, so die Worte des Konzils, "wenn dieses göttliche Fundament und diese Hoffnung auf das ewige Leben fehlen, erleidet die Menschenwürde sehr schweren Schaden - das ist heute oft der Fall - und die Rätsel des Lebens und des Todes, der Schuld und des Leids bleiben ungelöst und führen den Menschen oft zur Verzweiflung".

Diese und andere Fragen beantworten die ARG-Vertreter auf einer rein menschlichen Ebene, denn nach ihrer Auffassung wurde und wird ihr "Ethos" von Menschen entwickelt und vereinbart, und Wertvorstellungen sind immer menschlichen Ursprungs. Es stimmt, dass es auch allgemeine Werte wie "Verantwortung übernehmen" und "aus Fehlern lernen" unter ihnen gibt. Aber die letzten Fragen im Sinne des Konzils werden aus einer rein menschlichen Perspektive und Erfahrung heraus beantwortet. Das gilt auch für die Frage des Todes: Nach dem Tod gibt es nichts mehr. Vielleicht wird das den Menschen Schmerzen bereiten, aber höchstens so lange, wie er lebt.

Eine Frage zur Transzendenz

Das Christentum ist eine Religion der Offenbarung: "Ich bin der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs", sagt Jahwe, als er Mose im Dornbusch in der Wüste erscheint. Gott hat zu den Menschen gesprochen, "in dieser letzten Zeit, durch seinen Sohn", wie es im Hebräerbrief heißt. Der Glaube des Menschen ist immer eine Antwort des Menschen an Gott, der ihn anspricht. Der gläubige Mensch lässt sich in seinem Handeln von den Worten und Taten Gottes leiten, soweit er sie erkennt. Obwohl Gott der "ganz Andere" ist und wir nach dem heiligen Thomas von Aquin weit mehr über Gott wissen, als wir wissen, ist Gott dennoch erkennbar: "Wer mich sieht, sieht den Vater", sagt Jesus zu Thomas beim letzten Abendmahl im Abendmahlssaal. Auch wenn nach den Worten des Konzils der Gläubige als Mensch für sich selbst eine ungelöste Frage bleibt, kann nur Gott die volle und sichere Antwort geben.

Die "Religiöse Atheistische Gesellschaft" weiß von all dem nichts. Und doch behauptet sie, eine religiöse Gesellschaft zu sein. Sie sieht ihren Bezug zur Transzendenz darin, dass sie sich selbstverständlich mit Gott befasst, obwohl sie seine Existenz leugnet. Am 1. Juni 2022 lehnte das Verwaltungsgericht Wien den Antrag der ARG auf Anerkennung als Glaubensgemeinschaft ab und bezeichnete sie als "Weltanschauungsgemeinschaft". Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass der Transzendenzbegriff des ARG für eine Religionsgemeinschaft unzureichend sei, weil er sich nicht auf jene Bereiche beziehe, die außerhalb jeder bewussten, planbaren und immanenten Erfahrung liegen und Gegenstand einer "anderen" Wirklichkeit sind.

Die Atheistische Religionsgesellschaft hat diese Entscheidung beim Verfassungsgerichtshof, dem höchsten Gericht Österreichs, angefochten. Dabei beruft sie sich vor allem auf Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien die Religionsfreiheit des ARG missachten würde. Es wird interessant sein zu sehen, wie das Verfassungsgericht entscheidet.

Der AutorFritz Brunthaler

Österreich

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