Kultur

Alfred Bengsch und der Kampf um die Einheit der Kirche

Wie regiert man eine Diözese, die durch eine unüberwindbare Mauer zwischen zwei antagonistischen Systemen geteilt ist? Dies ist die Situation, in der sich Bischof Alfred Bengsch befand, als er 1961 zum Bischof von Berlin ernannt wurde.

José M. García Pelegrín-5. September 2023-Lesezeit: 8 Minuten
Alfred Bengsch 1

Foto: Mgr Alfred Bengsch

Das Bistum (seit 1994 Erzbistum) Berlin ist relativ jung: Es wurde 1930 gegründet. Bis dahin gehörte es zum Bistum Breslau (heute Wrocław in Polen), obwohl es seit 1923 eine gewisse Autonomie besaß und ein Weihbischof in Berlin residierte. Doch am 13. August 1930 wurde durch die Bulle "Pastoralis officii nostri" das Bistum Berlin errichtet und der damalige Bischof von Meißen, Christian Schreiber, zum ersten Bischof von Berlin ernannt. Er blieb bis 1933 Bischof und wurde dann von Nikolaus Bares (1933-1935) abgelöst.

Der erste Bischof, der das Bistum über einen langen Zeitraum leitete und unauslöschliche Spuren hinterließ, war der 1935 ernannte Bischof Konrad von Preysing (seit 1946 Kardinal). Von Preysing zeichnete sich nicht nur als Gegner des nationalsozialistischen Regimes aus, sondern musste sich in seinen späteren Jahren - er regierte das Bistum bis 1950 - mit der Teilung Deutschlands und Berlins auseinandersetzen: 1949 wurden die Bundesrepublik Deutschland im Westen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Osten gegründet. 

Berlin war seit 1945 in vier Sektoren aufgeteilt, die den vier alliierten Mächten - den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion - entsprachen. Obwohl bis zum Bau der Mauer in ganz Berlin relative Bewegungsfreiheit herrschte, war die ehemalige Hauptstadt ab 1948 in ein West-Berlin (die drei Sektoren der Westmächte) und ein Ost-Berlin (der sowjetische Sektor) geteilt. Als 1949 die Bundesrepublik und die DDR gegründet wurden, erklärte letztere Berlin (Ost) zu ihrer Hauptstadt, während West-Berlin de facto ein Bundesland der Bundesrepublik wurde. 

Als die DDR-Regierung 1952 den Bewohnern West-Berlins die Einreise auf das Gebiet der DDR untersagte, wurde West-Berlin zu einer Art "Insel" innerhalb der DDR. Aus diesem Grund galt das Bistum - das aus kirchenrechtlicher Sicht nie geteilt war: Der Bischof von Berlin war Bischof des gesamten Bistums, also nicht nur des Territoriums der DDR, sondern auch von Ost- und West-Berlin - schon vor dem Bau der Berliner Mauer als das diplomatisch und administrativ schwierigste der europäischen Kirchen. Auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 1955 beschrieb Bischof Wilhelm Weskamm (1951-1956), der Nachfolger von Kardinal von Preysing, die Situation in seinem Bistum als ein Spiegelbild der Uneinigkeit Deutschlands. Obwohl er sich in Berlin frei bewegen konnte, brauchte er für jede Fahrt in das Gebiet der DDR eine Genehmigung und musste sich bei den örtlichen Polizeistellen melden.

Wegen der Schwierigkeiten, die sich aus der Teilung Deutschlands und Berlins ergaben, aber auch wegen des zunehmend antichristlichen Charakters des Regimes in der DDR, das z.B. die Teilnahme der DDR-Bischöfe an der Deutschen Bischofskonferenz verhinderte, wurde bereits 1950 die "Berliner Ordinarienkonferenz" (BOK) mit den Bischöfen, Weihbischöfen und anderen Bischöfen mit Jurisdiktionsbefugnis eingerichtet. Weskamms Nachfolger auf dem Berliner Stuhl, Julius Döpfner (1957-1961), erließ 1957 ein Dekret, wonach der Präsident der BOK alleiniger Gesprächspartner der DDR-Behörden war ("Döpfner-Dekret"), um alles zu tun, um eine Spaltung der katholischen Kirche in Deutschland zu verhindern.

Döpfner, der im Dezember 1958 von Johannes XXIII. zum Kardinal ernannt wurde, geriet bald in Konflikt mit der DDR-Regierung. 1958 wurde das Fach Religion in den Schulen abgeschafft, gleichzeitig wurde der Jugendweihe als atheistischem Ersatz für Erstkommunion und Firmung mehr Gewicht verliehen. Der Bischof reagierte mit einem Hirtenbrief, in dem er die Lehre der Kirche darlegte. Die Konfrontation zwischen dem Bischof und dem DDR-Regime führte zu einem Verbot für den in West-Berlin lebenden Bischof, sich in Ost-Berlin aufzuhalten. "Die Lösung dieses pastoralen Problems war ein Novum: die Ernennung eines zweiten Weihbischofs für Berlin", so Alfred Bengschs Biograph Stefan Samerski, weil der bisherige, Paul Tkotsch (1895-1963), aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, seinen Aktionsradius auf den Ostteil der Stadt auszudehnen.

So wurde Alfred Bengsch am 2. Mai 1959 zum Weihbischof von Berlin ernannt. Bengsch wurde - anders als alle bisherigen Bischöfe - am 10. September 1921 in Berlin selbst, im westlichen Bezirk Schöneberg, geboren. Er hatte sein Theologiestudium begonnen, als er 1941 einberufen wurde; nach seiner Kriegsgefangenschaft von 1944 bis 1946 nahm er das Studium wieder auf und wurde am 2. April 1950 von Kardinal von Preysing zum Priester geweiht. 

Im Gegensatz zu Kardinal Döpfner kann sich der neue Weihbischof, der in Ost-Berlin, der faktischen Hauptstadt der DDR, wohnt und arbeitet, relativ leicht im gesamten Bistum bewegen, das einen großen Teil des DDR-Territoriums umfasst, z.B. um Firmungen zu spenden oder Pastoralbesuche zu machen.

Die Konfrontation zwischen Kardinal Döpfner und den Behörden spitzte sich 1960 nach seinem Fastenhirtenbrief, in dem er das Regime direkt angriff, rasch zu. Der Tod des Erzbischofs von München-Freising, Kardinal Joseph Wendel, am 31. Dezember 1960 eröffnete dem Heiligen Stuhl, in dem eine "Ostpolitik" der Nichtkonfrontation der Kirche in den kommunistischen Ländern begann, die Möglichkeit, Döpfner aus Berlin abzuziehen. Obwohl der Kardinal dem Papst mitteilte, dass er in Berlin bleiben wolle, schrieb ihm Johannes XXIII. am 22. Juni 1961 persönlich einen Brief, in dem er seine Entscheidung, ihn in die bayerische Hauptstadt zu versetzen, darlegte.

Am 27. Juli wählte das Berliner Domkapitel Weihbischof Alfred Bengsch zum Nachfolger von Kardinal Döpfner, der seine Wahl unterstützt hatte, wie er bei seinem Abschiedsgottesdienst vor seinem Wechsel nach München sagte: "Dass ein Bischof ernannt wurde, der im östlichen Teil des Bistums lebt, entspricht zwingenden pastoralen Erwägungen".

Der neue Bischof Alfred Bengsch hatte das Bistum noch nicht in Besitz genommen, als er am 13. August 1961 während seines Sommerurlaubs auf der Insel Usedom vom Bau der "Mauer" überrascht wurde. Dass die Teilung Berlins und damit des Bistums bereits vollzogen war, zeigt sich daran, dass die Amtseinführung getrennt erfolgen musste, am 19. September in der Ostberliner Fronleichnamskirche und am 21. September in der Westberliner St. Matthiaskirche. Obwohl das Gebiet des Bistums in der DDR viel größer war als im westlichen Teil (West-Berlin), war der Anteil der Katholiken in letzterem viel höher: In absoluten Zahlen: Im gesamten Osten (Ost-Berlin und DDR) gab es etwa 262.000 Katholiken; in West-Berlin waren es etwa 293.000, wo 139 der insgesamt 358 Geistlichen tätig waren.

Obwohl Döpfner ihm in einem Schreiben vorschlug, dass es für einen in der DDR lebenden Bischof praktisch unmöglich sei, den westlichen Teil zu regieren, und daher für eine Teilung in zwei Diözesen plädierte, lehnte Bengsch dies ab und stellte die Einheit des Bistums an erste Stelle: "Bewahren wir die Einheit der Kirche" wurde zum Motto von Bengschs Brief an Döpfner. Leitmotiv seiner Regierung. Zu diesem Zweck muss er sich mit dem auseinandersetzen, was die DDR-Behörden als "Politik der Differenzierung" bezeichnen, die nichts anderes ist als ein Versuch, die katholische Kirche zu spalten: eine "Politik der Gespräche" mit dem Klerus, um ihm die sozialistische Ideologie einzuschärfen.

Bengsch reagierte, indem er das bereits erwähnte "Döpfner-Dekret" bekräftigte: Die Beziehungen zu den staatlichen Behörden werden ausschließlich über den BOK-Präsidenten abgewickelt. Der Bischof war darauf beschränkt, spezifische Fragen mit den Behörden zu klären, was dem Klerus eine politische "Abstinenz" auferlegte. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht auch zu moralischen Fragen Stellung bezogen, indem sie beispielsweise gegen die Einführung der Abtreibung predigten.

Im Gegensatz zur Situation der katholischen Kirche in anderen kommunistischen Ländern konnte sie in der DDR auf die finanzielle Unterstützung der Bundesrepublik zählen, die es ihr ermöglichte, karitative Werke und Krankenhäuser zu unterhalten.

Laut Bengschs Biograph hatte Bengsch gegenüber den DDR-Behörden "mindestens vier Trümpfe im Ärmel": dringend benötigte Devisen, eine medizinische Versorgung auf dem Niveau westlicher Länder, eine internationale Verbindung zum Heiligen Stuhl, die "das Regime politisch und ideologisch ausnutzen konnte", und eine relativ geringe Zahl von Katholiken in der DDR, die das Regime verunsicherten.

Es wäre interessant, genauer zu untersuchen, wie das Zweite Vatikanische Konzil und die so genannte 68er-Revolution vor allem West-Berlin beeinflussten; auch die Situation der deutschen Bistümer, die sich auf das Gebiet östlich von Oder und Neiße erstreckten, das nach dem Zweiten Weltkrieg zu Polen gehörte, sollte in diesem Zusammenhang diskutiert werden: Bengsch sprach sich für eine vollständige Neuordnung aus, die aber erst 1994, nach dem Fall der Mauer, der deutschen Wiedervereinigung 1989/1990 und der endgültigen Anerkennung der "Oder-Neiße-Linie" als Grenze zu Polen durch Deutschland, tatsächlich vollzogen werden sollte.

Bemühungen um Einheit

Aus Platzgründen wollen wir uns jedoch auf das Hauptthema dieser Zeilen beschränken: die Bemühungen von Bischof Bengsch, die Einheit seiner Diözese zu bewahren, gegen alle Versuche, West-Berlin durch die Schaffung einer neuen Jurisdiktion "unabhängig" zu machen, zum Beispiel durch die Ernennung eines Apostolischen Administrators.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere die so genannte "Ostpolitik" des Vatikans nach und noch während des Vatikanischen Konzils zu nennen: Ab 1963 begann der Heilige Stuhl, Beziehungen zu Ländern im Osten - vor allem Ungarn und Jugoslawien - aufzubauen. Die Idee dieser "Ostpolitik" des Heiligen Stuhls war die Anpassung der kirchlichen Grenzen an die staatlichen Grenzen; dies sollte bis 1978 das dominierende Thema in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat sein.

Vor allem Kardinal Agostino Casaroli, seit 1967 eine Art "Außenminister" des Heiligen Stuhls, sah sein Handeln in Ostdeutschland als beispielhaft für den gesamten Ostblock an.

Die DDR drängt nicht nur auf die Errichtung neuer Diözesen, sondern auch auf die Einrichtung einer "nationalen" Bischofskonferenz. Obwohl im Juli 1973 dank des Einflusses von (seit 1967) Kardinal Bengsch Administratoren für Erfurt, Magdeburg und Schwerin ernannt wurden, wurden keine "apostolischen Administrationen" eingerichtet. 

Obwohl auf Druck der DDR-Regierung eine neue Bischofskonferenz gegründet wurde, gelang es Kardinal Bengsch zumindest, dass diese nicht "Bischofskonferenz in der Deutschen Demokratischen Republik" oder ähnlich hieß, sondern "Berliner Bischofskonferenz" (BBK), deren Statuten vom Heiligen Stuhl am 25. September 1976 für eine Probezeit von fünf Jahren genehmigt wurden.

Alfred Bengsch


Im anschließenden Tauziehen bezeichnete das BBK die Einrichtung von "drei Apostolischen Administrationen" als "kleineres Übel", wenn der Heilige Stuhl sie für "unvermeidlich" halte. Im Mai 1978 teilte Kardinal Casaroli dem DDR-Außenminister Otto Fischer mit, dass der Heilige Stuhl keine Diözesen in der DDR errichten werde, wohl aber Apostolische Administrationen.

Kardinal Höffner legte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sofort Protest in Rom ein. Nach der endgültigen Entscheidung des Papstes am 2. Juli 1978 begannen die Vorbereitungen für diesen kirchenrechtlichen Schritt. Paul VI. starb jedoch am 6. August, ohne die Dekrete unterzeichnet zu haben.

Die Wahl von Karol Wojtyła zum Papst war für Kardinal Bengsch eine große Freude: Sie hatten sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil kennengelernt, und beide waren im selben Konsistorium zu Kardinälen ernannt worden. Neben ihrer persönlichen Freundschaft - es ist ein Foto erhalten, das dokumentiert, wie der damalige Krakauer Kardinal den Berliner Kardinal im September 1975 in seinem Haus besuchte - waren sie sich nicht nur in theologischen Fragen einig, sondern auch in Fragen der "Ostpolitik": Johannes Paul II. behandelte diese Angelegenheiten mit einer "Dilata", so dass die entsprechenden Dokumente in einer Schublade der Kurie verschwanden. So blieb der kirchliche Status quo in der DDR bis zu ihrem Ende am 3. Oktober 1990 unverändert.

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