Héctor Franceschi wurde am 4. Juni 1962 in Caracas (Venezuela) geboren und ist Priester in der Prälatur des Opus Dei. Er ist Professor für Eherecht an der Fakultät für Kirchenrecht der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz, wo er Direktor des Zentrums für Rechtsstudien über die Familie ist. Außerdem ist er Richter am Kirchengericht des Vikariats Rom und am Kirchengericht des Staates Vatikanstadt.
Herr Prof. Héctor Franceschi, was verbirgt sich hinter dem Begriff "Rechtsanthropologie der Ehe", der seit Ende der 1980er Jahre eines der zentralen Themen Ihrer akademischen Tätigkeit und wissenschaftlichen Produktion ist?
-Die Rechtsanthropologie von Ehe und Familie zielt darauf ab, jede der zwischenmenschlichen Beziehungen, die ihr Gefüge ausmachen, zu untersuchen und zu verstehen, wobei die inhärente rechtliche Dimension dieser Beziehungen betont wird. Aus einer Perspektive, die man als "Rechtsrealismus" bezeichnen könnte, wonach diese Realitäten nicht nur kulturelle Konstruktionen oder das Ergebnis der positiven Rechtssysteme der Staaten oder der Kirche sind.
Ehe und Familie sind originäre und ursprüngliche Wirklichkeiten mit einer eigenen juristischen Dimension, die anerkannt werden muss, damit die Gesellschaft, die Kirche und die Staaten wahrhaft gerechte normative Systeme entwickeln können, die die Würde der menschlichen Person schützen und fördern, die nicht als isoliertes Individuum, sondern als "Wesen in Beziehung" verstanden wird, das seine Erfüllung nur in der Achtung vor der Wahrheit, vor dem, was "ist", und in der Suche nach den inneren und objektiven Gütern der familiären Beziehungen finden kann.
Ein Ausdruck, der ein Kind der Heiligen Schrift ist und der sogar in einigen päpstlichen Verlautbarungen ausdrücklich erwähnt wird: Ist das so?
-Benedikt XVI. hat den Ausdruck "juristische Anthropologie der Ehe" in seiner Ansprache an die römische Rota im Jahr 2007 aufgegriffen und erklärt, dass "die anthropologische und heilbringende Wahrheit der Ehe - auch in ihrer juristischen Dimension - bereits in der Heiligen Schrift dargestellt wird. Die Antwort Jesu an die Pharisäer, die ihn nach seiner Meinung über die Zulässigkeit der Abstoßung fragten, ist bekannt: "Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie von Anfang an als Mann und Frau geschaffen hat und gesagt hat: 'Darum wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein'? Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen" (Mt 19,4-6).
Die Zitate aus der Genesis (1,27; 2,24) stellen die eheliche Wahrheit des "Anfangs" wieder in den Vordergrund, jene Wahrheit, deren Fülle im Zusammenhang mit der Vereinigung Christi mit der Kirche zu finden ist (vgl. Eph 5,30-31) und über die Papst Johannes Paul II. in seinen katechetischen Zyklen über die "menschliche Liebe im göttlichen Plan" so ausführlich und tiefgründig nachgedacht hat.
Benedikt XVI. nimmt dann ausdrücklich Bezug auf die juridische Anthropologie, wenn er feststellt: "Ausgehend von dieser doppelten Einheit des menschlichen Paares kann eine authentische juridische Anthropologie der Ehe entwickelt werden (...) Die Vertragsparteien müssen eine endgültige Verpflichtung eingehen, gerade weil die Ehe eine solche im Schöpfungs- und Erlösungsentwurf ist. Und der wesentliche rechtliche Charakter der Ehe liegt gerade in dieser Bindung, die für Mann und Frau ein Gebot der Gerechtigkeit und der Liebe darstellt, dem sie sich um ihrer selbst willen und um aller willen nicht entziehen können, ohne dem zu widersprechen, was Gott selbst in ihnen getan hat".
Welche Haltung sollten wir also gegenüber dem Rechtspositivismus und einer relativistischen und rein existentiellen Sicht der menschlichen Person, der Ehe und der Familie einnehmen, um einen echten und fruchtbaren Dialog mit der heutigen Gesellschaft zu ermöglichen?
-Im Hinblick auf den Rechtspositivismus bekräftigt Benedikt XVI.: "Für den Positivismus wäre die Rechtsnatur der ehelichen Beziehung allein das Ergebnis der Anwendung einer formal gültigen und wirksamen menschlichen Norm. Auf diese Weise bleibt die menschliche Realität des Ehelebens und der Liebe außerhalb der "juristischen" Institution der Ehe. Es entsteht eine Lücke zwischen dem Recht und der menschlichen Existenz, die die Möglichkeit einer anthropologischen Fundierung des Rechts radikal verneint".
Im Hinblick auf eine relativistische Sicht der familiären Beziehungen stellt er fest: "Im Gegensatz zur subjektivistischen und libertären Relativierung der sexuellen Erfahrung bekräftigt die kirchliche Tradition eindeutig die natürliche Rechtsnatur der Ehe, d. h. ihre natürliche Zugehörigkeit zur Sphäre der Gerechtigkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Aus dieser Perspektive ist das Recht wirklich mit dem Leben und der Liebe verwoben, da es eine eigene Aufgabe darstellt. Deshalb, so schrieb ich in meiner ersten Enzyklika, "führt der Eros in einer auf die Schöpfung gegründeten Orientierung den Menschen zur Ehe zurück, zu einer Bindung, die durch Einzigartigkeit und Bestimmtheit gekennzeichnet ist; so und nur so erfüllt sich seine intime Bestimmung". (Deus caritas est, 11). Liebe und Gesetz lassen sich also insofern vereinen, als Mann und Frau einander die Liebe schulden, die sie spontan wünschen: Die Liebe ist in ihnen die Frucht ihres freien Willens zum Wohl des anderen und ihrer Kinder, die andererseits auch ein Erfordernis der Liebe zu ihrem eigenen wahren Wohl ist".
Gerade weil Ehe und Familie Institutionen sind, die zur Ordnung der Wirklichkeit, des Seins gehören, manifestiert sich ihr rechtlicher Charakter in drei wesentlichen Dimensionen: der zwischenmenschlichen, der sozialen und - im Falle der Getauften - der kirchlichen. Welche dieser Dimensionen ist Ihrer Meinung nach die wichtigste und warum?
-Von den drei Dimensionen ist die erste - die zwischenmenschliche - die wichtigste, da die Zustimmung der Vertragsparteien das Gründungsmoment der Familiengemeinschaft ist. Ohne die Zustimmung der Eheleute wäre die Anerkennung durch die Gesellschaft und die Kirche in der Tat sinnlos. Diese Anerkennung hat keinen konstitutiven Charakter, sondern ist vielmehr die Anerkennung einer Realität, die zwar in sich selbst eine soziale Dimension hat, die aber vor allem eine Realität ist, die nur zwei Personen, Mann und Frau, durch ihre ganz persönliche Zustimmung begründen können, die keine menschliche Macht ersetzen kann (vgl. can. 1057 § 1 CIC).
Die Zivilbehörde und die Kirche sind befugt, die Ausübung des Rechts auf Eheschließung zu regeln, und zwar nicht so sehr, um es willkürlich zu definieren oder einzuschränken, sondern vielmehr, um den Bürgern und den Gläubigen die Möglichkeit zu geben, die wesentlichen Elemente der Ehe und der familiären Gemeinschaft zu erkennen und somit durch die Regeln der jeweiligen Rechtsordnung die Familie anzuerkennen und sie von dem zu unterscheiden, was die Familie nicht ist.
In vielen westlichen Ländern haben wir kein Familienmodell mehr. Die Familie wird von den staatlichen Rechtssystemen nicht mehr "anerkannt", sondern eher "ignoriert". Wie reagiert die Kirche auf diesen Verlust der Orientierung?
-Die Kirche hat große Anstrengungen unternommen, um unser Verständnis für die Schönheit und Größe der Wirklichkeit von Ehe und Familie zu vertiefen, eine Anstrengung, die durch die Einberufung von zwei Synoden über die Familie durch Papst Franziskus und in jüngster Zeit durch den neuen Weg der Ehevorbereitung, den der Heilige Stuhl den Bischofskonferenzen und den einzelnen Bischöfen vorgeschlagen hat, einen großen Auftrieb erhalten hat. Die Kirche möchte eine neue Wiederentdeckung des Familiedie innere Wahrheit von Ehe und Familie, auch im Licht der Offenbarung in Christus, sowohl gegenüber den eigenen Gläubigen als auch gegenüber der gesamten Gesellschaft zu verdeutlichen, im Bewußtsein ihrer Sendung als Hüterin einer Wahrheit, die sie als Geschenk und als Auftrag erhalten hat und bei der die Würde der Person selbst auf dem Spiel steht.
Hunderte, wenn nicht Tausende von Seiten des kirchlichen Lehramtes sind der Klärung der verschiedenen Aspekte der Konstitution und Entwicklung der Familie gewidmet. Unter den kirchlichen Juristen ist jedoch die Vorstellung weit verbreitet, dass die Kirche - rein rechtlich gesehen - ihre Jurisdiktion zwar auf die Ehe, nicht aber auf die Familie ausdehnen würde. Während die Ehe ein zum Sakrament erhobener "Vertrag" wäre - was die Jurisdiktion der Kirche über sie rechtfertigen würde -, wäre die Familie dagegen eine Realität, die eine juristische, aber keine "kanonische" Dimension hätte. Die Familie wäre natürlich Gegenstand und Begriff des pastoralen Handelns und des Lehramtes der Kirche, aber rein rechtlich gesehen hätte sie wenig mit der Rechtsordnung der Kirche zu tun.
Andererseits scheint mir, dass dieses "Familienrecht" die Grundlage jedes Rechtssystems für die Familie und die Ehe sein muss, d.h. ein "Familienrecht", das weder kanonisch noch zivilrechtlich ist, sondern auf der "familiären Realität" und auf der Anerkennung der Würde der geschlechtlichen menschlichen Person beruht, und darauf zielt die Rechtsanthropologie der Ehe und der Familie ab. Mit anderen Worten: Das "Familienrecht" kann sich nicht auf die Untersuchung der positiven Normen einer bestimmten Rechtsordnung beschränken, sondern muss darüber hinausgehen, zur Wahrheit der Dinge, indem es die Existenz eines Reflexionsbereichs anerkennt, der die intrinsische Rechtsnatur der Familie zum Gegenstand hat.
Ist es richtig zu sagen, dass Ehe und Familie eine rechtliche Dimension haben, die nicht nur inhärent, sondern auch beiden natürlichen Institutionen gemeinsam ist?
- Johannes Paul II. erklärte: "Was erwartet die Familie als Institution von der Gesellschaft? Zunächst einmal, dass sie in ihrer Identität anerkannt und in ihrer sozialen Subjektivität akzeptiert wird. Diese Subjektivität ist mit der der Ehe und der Familie eigenen Identität verbunden". Ebenso wichtig wie die Anerkennung der intrinsischen rechtlichen Dimension von Ehe und Familie ist die Erkenntnis, dass beide denselben rechtlichen Charakter haben. In Anlehnung an die soeben zitierten Worte von Johannes Paul II. könnte man argumentieren, dass die Identität der Familie mit der der Ehe verbunden ist und umgekehrt.
Mit anderen Worten: Die Familie wird durch den Ehebund, d.h. die Ehe, gegründet. in flagrantiund ein Bund, der die notwendige lebenswichtige Offenheit für die Familie besitzt, wird wirklich ehelich sein. Diese Offenheit verwirklicht sich im traditionellen Wohl der Nachkommenschaft oder, um die Terminologie des Codex des kanonischen Rechts zu verwenden, im wesentlichen Zweck der Zeugung und Erziehung der Nachkommenschaft (vgl. can. 1055 § 1 CIC).
Mit anderen Worten: Es kann keine echte Ehe geben, wenn es nicht gleichzeitig eine Familie gibt. Im Augenblick der Eheschließung wird nicht nur die erste familiäre Beziehung - die eheliche - begründet, sondern auch die Familie geboren. Nicht das Vorhandensein von Kindern an sich konstituiert die Familie, sondern die Offenheit und die Weihe zur Fruchtbarkeit, die Teil der Gabe und der Annahme als Eheleute selbst ist. In der Tat ist es das eheliche Einverständnis der Eheleute, das die Familie schafft.
Die Ehe erhellt also den Weg zum Rechtscharakter der Familie, gerade weil die wirksame Ursache beider Institutionen dieselbe ist: die eheliche Zustimmung. Dieser Weg zum Verständnis der untrennbaren Beziehung zwischen Ehe und Familie bereichert beide Institutionen, weil wir verstehen, warum die Familie auf der Ehe gründet, und gleichzeitig den familiären Charakter der ersten "familiären Beziehung", nämlich der ehelichen, leichter erfassen können.
Kurzum, Recht und Anthropologie können nur aufeinander hören, wenn sie versuchen, die Pflicht zum Sein und die Dimension der Gerechtigkeit zu definieren, die den verschiedenen Bereichen der menschlichen Sexualität und somit auch der Ehe und der Familie innewohnen. Wie?
Während sich die antiken Verwandtschaftssysteme um die Figur des "Vaters" drehten, wurde das Verwandtschaftssystem des christlichen Abendlandes um die Vorstellung eines geliebten Menschen aufgebaut. Die Ehepartner bilden in diesem biblischen Ausdruck die Einheit, und im Stammbaum der Familie nehmen sie den Platz eines einzigen sozialen Subjekts ein: Mann und Frau sind nicht mehr zwei, sondern eins (für elterliche Zwecke, versteht sich).
Die heutigen Systeme sind von dieser Rechtstradition nach und nach abgerückt, da die Ehescheidung mit der Anerkennung des Rechts auf Ehescheidung gleichgesetzt wird. ius connubii (Recht auf Eheschließung). Die modernen Rechtssysteme versuchen, auf einer falschen "spiritualistischen" Vision der menschlichen Person aufzubauen, die als "selbstgestaltete Freiheit" verstanden wird, eine Freiheit, die in dem Maße unbegrenzt wäre, wie Technologie und wissenschaftlicher Fortschritt es ihr erlauben, sich nach Belieben zu gestalten. Dies geschieht in vielen westlichen Familienrechtssystemen, die der Tatsache, männlich oder weiblich zu sein, jegliche Objektivität absprechen und beispielsweise das "Recht auf Geschlechtswechsel" anerkennen.
Die gleiche Dynamik lässt sich auch im Bereich der Zeugung beobachten, wie die meisten künstlichen Befruchtungstechniken, das mögliche Klonen von Embryonen, das Phänomen der "Leihmutterschaft" usw. zeigen. Nach dieser anthropologischen Vision wären die familiären Beziehungen nichts weiter als sozial bedeutsame vertragliche Beziehungen, die nicht existieren würden, solange der Staat sie nicht anerkennt, jedoch ohne Grenzen für diese "Anerkennungsmacht", die stattdessen eine absolute Schöpfungsmacht wäre, die keine Grundlage in der Wahrheit der Person und der individuellen familiären Beziehungen hätte. Um diesen Prozess der ständigen Dekonstruktion zu stoppen, muss die Bedeutung der anthropologischen Studien hervorgehoben werden.
Meines Erachtens liegt das Problem derzeit darin, dass Anthropologen keine Juristen sind: Sie sagen nicht, wie ein bestimmtes Verwandtschaftssystem sein sollte, sondern untersuchen und beschreiben es lediglich, wie es ist (oder wie es erscheint). Aus diesem Grund ist die Entwicklung einer "juristischen Anthropologie der Ehe und der Familie" wünschenswert, die unter anderem darauf abzielt, die Verwandtschaftssysteme im Lichte der Würde der Person zu untersuchen. Es ginge nicht darum, ein künstliches System "im Labor" zu schaffen, sondern die Logik und Dynamik der familiären Identitäten und Beziehungen als Dimensionen zu analysieren, die ontologisch mit der menschlichen Person als "Beziehungswesen" verbunden sind.
Die Rechtskultur hätte somit eine Grundlage, auf der die verschiedenen Familiensysteme aufgebaut werden könnten, wobei zu berücksichtigen wäre, dass die grundlegenden Konzepte und Begriffe nicht "a priori" von den Staaten konstruiert würden, sondern von der wissenschaftlichen Gemeinschaft definiert würden, sofern diese für die Untersuchung der Realität offen ist und nicht blindlings dem Diktat des Staates oder einer bestimmten Ideologie oder Interessengruppe folgt.